(Mohyliv-Podilskyi, 04.05.10 - 07.05.10) Mohyliv-Podilskyi ist ein fast völlig unbekannter Ort in der Ukraine. Nur mit Mühe findet man im Internet einige spärliche Informationen dazu. Kaum zu verstehen, denn Mohyliv-Podilskyi ist mit seinen immerhin 36.000 Einwohnern eine Stadt, die - historisch betrachtet - eine wesentliche Rolle im Holocaust an den rumänischen Juden aus Bessarabien und der Bukowina gespielt hat. Fährt man von Czernowitz nach Mohyliv-Podilskyi, überquert man zunächt den Dnister und befindet sich dann in Transnistria; gemeint ist das von Rumänien im Zweiten Weltkrieg annektierte Gebiet, und nicht Transnistrien, der international nicht anerkannte Staat im Osten Moldawiens.
Man merkt, dass hier einst die Grenzlinie zwischen Großrumänien und der Sowjetunion verlief. An strategisch wichtigen Punkten entdeckt man immer wieder Abwehrstellungen.
Auf der vier Stunden dauernden Fahrt für knapp 200 Kilometer über löchrige Straßen begegnet man einem goldenen Lenin, kann aber auch zugleich verfallene ehemalige sozialistische Musterkooperativen sehen.
Mohyliv-Podilskyi, die Stadt am Dnister, gegenüber dem moldawischen Otaci, dem ehemaligen Ataki, glänzt in der Abendsonne.
Hier, im Herzen der Stadt, befindet sich auch die Jüdische Gemeinde von Mohyliv-Podilskyi, die, unter der Leitung ihres ungewöhnlich engagierten Vorsitzenden Leonid Brechman, das Gemeindeleben organisiert. Die Gemeinde unterhält eine Synagoge und ein kleines, aber sehr interessantes Museum. Hier treffen wir auch den 88-jährigen Srul Lichtman, der trotz Ghetto, Zwangsarbeit und Verfolgung, seinen Humor nicht verloren hat.
Menschen wie er, werden von der Deutschen Rentenversicherung in Bürokraten-Deutsch und Englisch (!?) angeschrieben, um ihnen mitzuteilen, dass etwaige Rentenansprüche für ehemalige Ghettoinsassen in der Reihenfolge ihrer Geburtsjahrgänge bearbeitet werden; sie mögen sich also gedulden und weiteren Nachrichten entgegensehen. Die Frage ist nur, was zuerst kommt: der Rentenbescheid oder der Tod!
Videoclip (1'38"): Srul Lichtmann singt russische und jiddische Lieder.
Srul Lichtman ist einer der 279 Juden, die noch in Mohyliv-Podilskyi leben; 54 davon haben das Ghetto überlebt. Vor dem Krieg waren es 9.000 Juden, von denen nur etwa ein Drittel den Holocaust überlebt hat. Zusammen mit Zehntausenden, die aus ganz Bessarabien und der Bukowina, die über das Nadelöhr Mohyliv-Podilskyi nach Transnistria deportiert wurden, drängten sie sich auf einer Fläche von einem halben Quadratkilometer zusammen. Viele davon starben schon nach kurzer Zeit, wovon der Friedhof von Mohyliv-Podilskyi zeugt. Er ist mit einer Fläche von 17 Hektar sogar noch deutlich größer als der Jüdische Friedhof von Czernowitz, der ehemaligen Hauptstadt der Bukowina.
Dennoch konnten diese armen Menschen glücklich sein, wenn sie noch einige Habseligkeiten hatten, um die rumänischen Behörden bestechen und dadurch in Mohyliv-Podilskyi bleiben zu können; die übrigen wurden auf zermürbende Fußmärsche ins Hinterland geschickt, wo sie überhaupt keine Existenzgrundlage hatten und elendig an Hunger, Kälte und Krankheiten zugrundegegangen sind. Mancher Marsch endete aber nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt, wo die Menschen ausgeraubt, erschossen und in Massengräbern verscharrt wurden. Der Historiker Valeri Voitovici aus Mohyliv-Podilskyi meint, ein solches Grab entdeckt zu haben.
Und tatsächlich, sehen wir uns das Areal aus der Luft und am Boden an, dann fällt auf, dass hier außer Gras nichts wächst, obwohl mehrfach versucht wurde, dieses Grundstück zu bebauen. Ein Zeuge, der damals zehn Jahre alt war, berichtet, dass die Erschießungen durch deutsche und rumänische Truppen einen ganzen Tag hindurch stattgefunden haben sollen. Valeri Voitovici schätzt, dass hier bis zu 25.000 Menschen ermordet und in diesem Massengrab verscharrt wurden. Die Ausgrabungen sollen in wenigen Tagen, nach dem übermorgen hier stattfindenden Befreiungstag, beginnen.
Jung und Alt von Mohyliv-Podilskyi proben schon für die Feierlichkeiten, die hier in jedem Dorf, in jeder Stadt begangen werden. Es sind Männer wie dieser hochdekorierte Veteran, die dem Hitlerfaschismus ein Ende bereitet und viele Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt haben. Das Ghetto von Mohyliv-Podilskyi sollte am 22.03.1944 liquidiert werden, wurde aber drei Tage zuvor, am 19.03.1944, von den sowjetischen Truppen befreit.
6 comments:
Hi Edgar--I was in Mogilev Podolsky in 2002 and placed grave markers on my grandparents graves. They were buried in the Bukowina cemetery in 1942. I found the location of their graves through the map of a Mr. Drucker. More discription on my webpage at:
http://www.shtetlinks.jewishgen.org/sadgura/spitzer/fuhrman2.html
I'm wondering if the gravestones I had made are still there. Where can i see the pictures you took?
Kind Regards,
Melita Fuhrman Vickter
The pictures that I took, are - preliminary - available at my MSN SkyDrive (MSN registration needed): http://cid-68987ecbe0f5aafc.skydrive.live.com/browse.aspx/Öffentlich/Mohyliv-Podilskyi%20Cemetery%202010?view=details
Finally they will be displayed at the Cemetery & Towns section of http://czernowitz.ehpes.com/.
Nabend lieber Edgar,
ein schöner Bericht... man braucht gar nich mehr selbst fahren...
grüße aus xhain (Kreuzberg Friedrichshain)
Klaus
Bonsoir Edgar,
C'est toujours avec un grand plaisir que je parcours vos récits de voyage. Les photos sont très belles et votre parcours sur les nombreux kilomètres est très passionant. en fait je découvre une d'autres horizons que je visiterai peut-être un jour.
Cordialement, marie-Thérèse
Schönen Dank für diesen Reisebericht!
Ich habe die Bücher von Edgar Hilsenrath gelesen und mich aus diesem Grunde für die Bukowina interessiert.
Und mich als Deutscher (geboren im Nachkriegsdeutschland)geschämt, was für Verbrechen von den Deutschen damals verübt wurden.
Trotz aller damals begangenen Grausamkeiten kann man sich heute erneut an der Schönheit dieser Natur und Landschaft erfreuen.
Dafür danke ich Dir.
Klaus (Berlin)
Vielen Dank--das ist auch meine Mutters Familie.
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