(Kyseliv, 16.05.11) Am 7. Juli 1941 fand in Kyseliv ein fürchterliches Massaker an der jüdischen Bevölkerung statt. Nachdem die sowjetischen Truppen sich kurz zuvor aus der Region zurückgezogen hatten, rückten verbündete deutsche und rumänische Streitkräfte nach. Während sie im städtischen Raum die jüdische Bevölkerung weitgehend selbst liquidierten, ermunterten sie in den ländlichen Gebieten die dort ansässige Bevölkerung, die Henkersarbeit zu leisten. Aufgestachelt durch ukrainische Nationalisten, als Henkerslohn das Vermögen ihrer jüdischen Nachbarn vor Augen, trieben Dorfbewohner von Kyseliv mehr als 150 Menschen zusammen und ermordeten sie auf grausamste Weise. Da die Mörder ihr "Handwerk" (noch) nicht perfekt beherrschten, gelang es einigen Juden, den Massengräbern blutüberströmt, aber lebend zu entfliehen, sich in die benachbarten Wälder zu retten und anschließend über das Massaker zu berichten. Alti Rodal, deren Familienmitglieder zu den Ermordeten zählen, hat die tragischen Ereignisse in einem Bericht für die Czernowitz Discussion Group dokumentiert. An das Massaker erinnert ein Gedenkstein, der zwischenzeitlich seine eigene Geschichte hat.
In Kyseliv angekommen, fragte ich zunächst etwa zwanzig, vorwiegend ältere Dorfbewohner, nach dem "Jüdischen Monument". Eine Mauer des Schweigens kam mir entgegen und kaum einer der Befragten konnte oder wollte etwas dazu sagen, statt dessen schickte man mich weit außerhalb des Dorfes zu einem österreichischen Denkmal aus dem Ersten Weltkrieg.
Erst die Besuche in der Gemeindeverwaltung und in der Dorfschule brachten den Durchbruch. Im Lehrerzimmer fand unsere improvisierte Konferenz statt. Ich sprach mit dem Generalsekretär von Kyseliv, Ivan Solonenko und seiner Mitarbeiterin Orisa Kusniryuk, kompetent unterstützt durch die Deutschlehrerin Viktoriya Palagnyuk. Wir überlegten gemeinsam, wie die Wiederherstellung des Gedenksteins zu bewerkstelligen ist und schauten uns anschließend den Deutsch-Klassenraum an. Goethe, Schiller, Lessing, deutsche Grammatik und das Alphabet - ich bin gerne in Viktoriyas Klasse gegangen und bin sicher, ihre Schüler tun das auch. Dann nimmt Orisa ihren Chef als Sozius mit und lotst mich zu dem "Jüdischen Monument".
Vor Ort stellen wir überrascht, aber mit wachsender Zuversicht fest, dass - wie von Geisterhand - Bruchstücke der abgeschlagenen Tafeln wieder aufgetaucht sind.
Gefühle lassen sich nicht aufzwingen, Mitgefühl, Verantwortungs- und Geschichtsbewußtsein auch nicht. Manche, vielleicht sogar viele der Dorfbewohner, empfinden den Gedenkstein als einen Fremdkörper. Solange diese Einstellung vorherrscht, wird ein Wiederaufbau sinnlos sein und keinen dauerhaften Erfolg haben. Also gilt es zunächst, die Bewohner und Verantwortlichen von Kyseliv einzubeziehen; dazu kann der Kontakt zu Ivan, Orisa und Viktoriya eine gute Grundlage sein.
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