03 January 2014

Der Fall Dreyfus - Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte

Meine Wertung

Eine Auftragsarbeit von Louis Begley

Für alle, die - so wie ich - nicht auf Anhieb verstehen, warum "Der Fall Dreyfus" den seltsamen Untertitel "Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte" trägt, hier ist die banale Erklärung: Louis Begley hat für seinen amerikanischen Verlag, Yale University Press, eine Auftragsarbeit geschrieben, und zwar für die Reihe "Why X Matters". Der Fall Dreyfus "pur" reichte dem Verlag wohl nicht aus, es musste unbedingt der "aktuelle" Bezug her. Nichts war in 2009, dem Erscheinungsjahr dieses Buches, aktueller, als die Amtseinführung von Barack Obama, der, nach den dunklen Jahren der Bush-Administration, die USA und die ganze Welt in eine kollektive Aufbruchstimmung versetzte. Zudem versprach der damals frisch gekürte Friedensnobelpreisträger, das Gefangenenlager auf Guantánamo binnen Jahresfrist zu schließen. Die Guantánamo-Häftlinge durften auf ein rechtsstaatliches Verfahren hoffen und Autor und Verlag hatten ihren gewünschten aktuellen Bezug.

Natürlich kann man, wenn man unbedingt möchte, Dreyfus auf der Teufelsinsel mit den Häftlingen auf Guantánamo vergleichen. Hätten Yale University Press und Louis Begley jedoch nur noch wenige Jahre gewartet, dann hätte ihnen der Whistleblower Edward Snowden, mit seinen Enthüllungen über die westlichen Geheimdienste, statt eines aufgesetzten Vergleiches, die wirkliche Parallele zum Fall Dreyfus geliefert.

Heute, fast auf den Tag genau, fünf Jahre nach der Amtseinführung von Barack Obama, sitzen die Gefangenen auf Guantánamo immer noch ein und die geschichtliche Entwicklung hat gleichermaßen sie und den Fall Dreyfus überrollt. Das hat der Autor bestimmt nicht zu vertreten, aber sein Buch steckt in einer weiteren Zwickmühle. Für das Verständnis des hochkomplexen Falles Dreyfus ist es mit seinen 248 Seiten zu kurz und bleibt daher an der Oberfläche; für die politische Einordnung in die Zeit um 1900 ist es zu lang und verliert sich in Details. Insbesondere beantwortet der Autor die Ausgangsfrage "Why the Dreyfus Affair Matters" für meine Begriffe nicht hinreichend.

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