17 April 2017

Der Abituriententag

Meine Wertung

Prag, eine kleine österreichische Stadt?

Richtet man sich nach dem Klappentext des Buches, dann spielt "Der Abituriententag" von Franz Werfel "um die Jahrhundertwende in einer kleinen österreichischen Stadt". Glaubt man Wikipedia, spielt er hingegen "in einer Großstadt zwischen den beiden Weltkriegen", vermeintlich in Prag. Was denn nun, Provinznest oder Metropole, Jahrhundertwende oder Zwischenkriegszeit? Beides richtig, denn der Schulversager Ernst Sebastian von Portorosso, wird von seinem Vater, zu Zeiten der Monarchie Präsident des Obersten Gerichtshofes, aus Wien verbannt. Nach seinem Abitur im Jahr 1902 trifft er fünfundzwanzig Jahre später, nach dem Ersten Weltkrieg, seine damaligen Mitschüler auf einer Abiturientenfeier wieder. "Nicht das Milieu der Schule, nicht die Verirrungen der Jugend, keinerlei psychologische und weniger noch pädagogische Nebenansichten bilden den wahren Gegenstand der Geschichte, die eine, nein, vielleicht die allerfurchtbarste Frage des menschlichen Lebens aufzuwerfen wagt: Die Frage der Schuld". Im Jahr 1928 erschienen, ist es vielleicht dieser Satz von Franz Werfel aus dem Jahr 1937, der - immer wieder brav zitiert von seinen Rezensenten - von der politischen Dimension dieses Romans ablenkt. Es werden nicht nur die Folgen des Ersten Weltkriegs deutlich - nur die Hälfte der Abiturienten erscheint zum Abituriententag, die Übrigen sind bereits gestorben, im Krieg gefallen, unauffindbar oder haben sich der Einladung entzogen - auch der aufkommende Nationalsozialismus  wird durch den Deutschlehrer Stowasser, dem streng nationalen Burschenschaftler personifiziert. Vielleicht war es für den Juden Franz Werfel, ein Jahr vor dem sogenannten "Anschluss" Österreichs durch die Nationalsozialisten und seiner Emigration in die USA nicht opportun, die politischen Aspekte des Buches übermäßig zu betonen. Gerade die sind es jedoch, die, zusammen mit dem gelungenen Plot, die Lektüre dieses Buches so lohnend machen.

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