30 April 2010

Rosa Luxemburg und die Idealstadt (Zamość - 1.617 km)

(Zamość, 29.04.10 - 30.04.10) Die Stadt Zamość wirbt mit dem Titel "Ideale Stadt" für den Fremdenverkehr. Wer das nur für den Slogan eines übereifrigen Tourismus-Managers hält, täuscht sich, denn Idealstädte gibt es tatsächlich. Sie sind unter einheitlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Kriterien von vorneherein so konzipiert worden, was häufig mit einem sozialutopischen und ästhetischen Programm verbunden war. Zamość, auch "Padua des Nordens" genannt, ist eine solche Stadt und glänzt im morgendlichen Sonnenlicht.



In Wrocław begegneten wir Ferdinand Lassalle, hier ist es Rosa Luxemburg, die am 5. März 1871 als Rozalia Luksenburg in Zamość zur Welt kam. Ob die Geburt in einer Idealstadt ihren weiteren Lebensweg geprägt hat? Wohl kaum, aber die Stadt Zamość hat dennoch eine Gedenktafel an dem Geburtshaus (Staszica 37) angebracht.



Rosa Luxemburg entstammte einer jüdischen Familie und alles andere als ideal verlief das Schicksal der Juden in dieser Region; nur etwa 1 % überlebten den Holocaust des Zweiten Weltkrieges. Davon zeugt auch die auf dem Weg nach Zamość gelegene Gedenkstätte Majdanek.



Im Flyer der Stadt Zamość lesen wir: "In der Zeit des zweiten Weltkrieges wurde Zamość zuerst von der sowjetischen Armee und dann von der deutschen Armee besetzt. Die Okkupanten wollten, dass Zamość das Zentrum von germanisierten Gebieten bleibt und Himmlerstadt heißt. Während des Krieges hat die 11.000 Personen zählende Gemeinschaft der Juden von Zamość aufgehört zu existieren. Die Mehrheit ist mit den sowjetischen Soldaten nach Osten ausgereist, und die übrigen (4 bis 5 tausend) wurden von den Hitlerfaschisten ermordet."

Hingegen erfahren wir bei Wikipedia: "Fast die gesamte jüdische Bevölkerung kam in der Nazizeit in Ghettos, Vernichtungslagern oder durch Erschießungen um, viele starben auch durch Hunger oder Krankheiten, denn die Zustände in den Ghettos und im Generalgouvernement in Allgemeinen waren unmenschlich. Durch deutsche Siedler sollte die polnische Mehrheit 'germanisiert' werden, wobei die Stadt in den Planungen den Namen Himmlerstadt, später auch Pflugstadt trug (vgl. Aktion Zamosc)."

Es wäre interessant in Erfahrung zu bringen, welche Version der historischen Wahrheit am nächsten kommt.

29 April 2010

Alter Jüdischer Friedhof (Wrocław - 919 km)

(Wrocław, 27.04.10 - 29.04.10) Im Süden der Altstadt von Wrocław, dem ehemaligen Breslau, findet man die typischen Wohnblocks, ein architektonisches Markenzeichen für die ehemaligen sozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa.



Inmitten der Plattenbauten liegt der Alte Jüdische Friedhof. Hier finden wir das Grab von Ferdinand Lassalle, der mit der Gründung der ersten Arbeiterpartei in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung der deutschen Sozialdemokratie leistete.



Der Alte Jüdische Friedhof trägt seinen Namen zu Recht, wie man an den Grabsteinen und Gruften auf dem im Jahr 1856 eröffneten Friedhof sehen kann.




Der Friedhof ist sehr morbid, was für einen Friedhof kein Schimpfwort ist, aber manchmal läuft man Gefahr, unter einem einstürzenden Monument unfreiwillig seine letzte Ruhe zu finden.



Was danach bleibt, ist der manchmal liebevolle Versuch, Ordnung in die Erinnerung an die Toten zu bringen.



Zum Schluss verlässt man auf ruhigen Pfaden diesen romantischen Friedhof und nimmt sich vor, wiederzukommen, hoffend, dass der Verfall nicht zu schnell vor sich geht.


(GPS N 051°05'16.0 E 017°01'35.6)

28 April 2010

Karl Lemke & Karl Lemke (Berlin - 576 km)


(Berlin, 22.04.10 - 27.04.10) Anders als zunächst vermutet, gab es im Berlin der 1930er-Jahre zwei Karl Lemke. Beide zählten zum aufgeklärten, linken, fortschrittlichen Spektrum der damaligen Gesellschaft und traten dem aufziehenden Nationalsozialismus vermutlich fassungslos, wahrscheinlich jedoch feindlich entgegen. Deshalb war es zunächst schwer, die beiden Karl Lemke zu unterscheiden. Der eine, "unser" Karl Lemke war ein Vertrauter von Heinrich Mann, lebte 1932 in Berlin und war der Korrespondent der in Czernowitz erscheinenden Tageszeitung "Der Tag", die wir unter dem Motto "Der Tag in Czernowitz vor 78 Jahren" täglich als Reprint auf


publizieren. Am 9. April 1932 erschei
nt der Leitartikel von Karl Lemke unter der Überschrift "Europa in Gefahr?". Der andere Karl Lemke war Besitzer einer grafischen Kunstanstalt und Geschäftsführer einer Druckerei, lebte im gleichen Zeitraum in Berlin und beauftragte den Architekten Ludwig Mies van der Rohe im Ortsteil Alt-Hohenschönhausen ein Wohnhaus zu errichten. Die im Bauhaus-Stil 1932 errichtete Villa Lemke war das letzte von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Wohnhaus in Deutschland, bevor er 1938 endgültig in die USA übersiedelte.




Die Villa, die nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedenen Zwecken diente, u. a. auch als Wäscherei und Kantine für die Mitarbeiter des MfS, fungiert heute als Ausstellungspavillon für Moderne Kunst und ist ein Anziehungspunkt für Liebhaber der Architektur von Mies van der Rohe. Auf jeden Fall ist sie eine Oase der Ruhe und ein Geheimtipp für Berlin-Besucher.

13 April 2010

The Last Jews of Rădăuți


Meine Wertung

The (very) Last Jews of Rădăuți

Die Aufnahmen zu der Ausstellung "The Last Jews of Rădăuți", welche von Laurence Salzmann im Herbst 1978 bei Beit Hatfutsot, dem Nahum Goldmann Museum der Jüdischen Diaspora in Tel Aviv, gezeigt wurden, sind bereits Ende 1974 entstanden. Damals lebten in Rădăuți noch etwa 200 Juden, die dem Rumänischen Holocaust entkommen konnten und nicht - wie so viele - in den Nachkriegsjahren ausgewandert sind. Heute sind es kaum noch zwei Dutzend und der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, wo die einst blühende Jüdische Gemeinde von Rădăuți verschwunden sein wird. Die melancholischen und beeindruckenden Fotos von Laurence Salzmann werden jedoch bleiben.

09 April 2010

Die Kapuzinergruft


Meine Wertung

Der Kriegsspielverderber Joseph Roth

Häufig werden "Die Kapuzinergruft" und "Radetzkymarsch", beide von Joseph Roth, in einem Atemzug genannt, wobei der vorliegende, in 1938 erschienene Roman meistens im Schatten von "Radetzkymarsch" aus dem Jahr 1932 steht. Völlig zu Unrecht, denn genau genommen ist "Die Kapuzinergruft" die pointierte und logische Konsequenz, die sich aus "Radetzkymarsch" ergibt. Beide Romane haben als gemeinsame Schnittmenge den Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie durch den Ersten Weltkrieg. Aber "Die Kapuzinergruft" ist ein politischer Roman, ohne dabei seine literarische Qualität einzubüßen. Er ist zugleich ein Antikriegsroman der besonderen Art. Er hat es nicht nötig, die brutale Wirklichkeit von Kriegen auszumalen; es reicht, die Folgen des Ersten Weltkrieges für die verunsicherten und orientierungslosen Menschen in der ehemaligen Donaumonarchie zu beschreiben, um den Ersten Weltkrieg zu verdammen und vor weiteren zu warnen. Wie wir wissen, haben alle Mahnungen von Joseph Roth, dem genialen Kriegsspielverderber, letztendlich nicht geholfen und der Zweite Weltkrieg begann drei Monate nach seinem Tod am 27.05.1939. Dem außergewöhnlichen literarischen Stellenwert des Gesamtwerkes von Joseph Roth tut das jedoch keinen Abbruch.