03 November 2009

Im Scheunenviertel


Meine Wertung


Die vergessenen Juden

Das Berliner Scheunenviertel war der Zufluchtsort der in Kriegs- und Revolutionswirren eingewanderten polnischen und russischen Juden. Gemeint sind der Erste Weltkrieg und die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, das heißt lange noch vor der so genannten Machtergreifung.

"Die kurze Geschichte der ostjüdischen Einwanderung enthüllt den Nimbus, der das Jahr 1933 umgibt, als ausgemachten Schwindel. Dieses Datum markiert keinen Einbruch, weder ein jähes Ende, noch einen abrupten Anfang. Als Unerwünschte, Rechtlose und politisch Anrüchige, die ihre Herkunft, wie ein Reichstagsabgeordneter sagte, schon durch ihre "körperliche Beredsamkeit" verrieten, machen viele Ostjuden schon an der Grenze Bekanntschaft mit den Mitteln des modernen Staates, der Ausweisung und Abschiebung für sie bereithält, aber auch schon einen Ort, dessen schon damals geläufige Bezeichnung "Konzentrationslager" die kommenden Schrecken noch nicht verrät."

Während wir - völlig zu Recht - der zahlreichen jüdischen Wissenschaftler, Künstler, Industriellen, Juristen, Kaufleute und damit der jüdischen Oberschicht gedenken, die von den Nazis entweder vernichtet oder ins Exil getrieben wurde, vergessen wir nur allzu leicht, die bettelarmen, zum Teil tief religiösen Juden, die es ebenfalls gegeben hat. Es ist Eike Geisel zu verdanken, dass er an diese Menschen erinnert, deren Leben ein Martyrium war und die selbst im Tod keinen Platz auf einem Friedhof gefunden haben.

"Niemand weiß mehr, daß es im Herzen der alten Reichshauptstadt bis in die dreißiger Jahre hinein eine fremdartige Insel ostjüdischen Lebens gab - gleicherweise Ort von Talmud-Schulen und Verbrecherviertel. [...] Sie zu vergessen, die keinen Grabstein haben, ist nach Auschwitz die eigentliche Friedhofsschändung."

No comments: