Ein denkbar schlechter Zeitpunkt für ein Kind aus jüdischem Hause, denn nur zwei Monate vorher hatten Octavian Goga und Alexandru C. Cuza, die führenden Antisemiten in Rumänien, die Regierungsgeschäfte übernommen. Deren Partei, die PNC, führte das Hakenkreuz als Parteisymbol und hatte Hitlers NSDAP als Vorbild, durch die sie tatkräftig unterstützt wurde. Die Diskriminierung der Juden in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen erreichte Ende der Dreißigerjahre in Rumänien einen neuen Höhepunkt. Die Eltern von Frederic Grünberg, Isac Iacob und Rachel Lea Grünberg, blieben davon nicht verschont.
Am 4. September 1940 wurde Ion Antonescu von König Carol II. zum Ministerpräsidenten mit unbeschränkten Vollmachten ernannt. Am 22. Juni 1941 trat Rumänien in den Zweiten Weltkrieg ein und beteiligte sich an der Seite Deutschlands an dem Überfall auf die Sowjetunion. Der von Ion Antonescu ernannte Militärgouverneur der Bukowina, Brigadegeneral Corneliu Calotescu, erließ am 11. Oktober 1941 den Befehl, ein Ghetto in Czernowitz zu errichten. Bereits zwei Tage später, am 13. Oktober 1941, begannen die ersten Deportationen nach Transnistrien. Die Mitglieder der Familie Grünberg mussten fortan den Davidstern tragen. Während die Eltern von Frederic Grünberg und seine beiden Großmütter, Frima Grünberg und Mariem Seternberg, "normale" Davidsterne tragen mussten, "durfte" der damals dreijährige Frederic einen "kleinen" Stern tragen, den er noch bis heute aufbewahrt.
Die einzige Chance, der Deportation nach Transnistrien zu entkommen, war eine Unabkömmlichkeitsbescheinigung des damaligen rumänischen Bürgermeisters von Czernowitz, Traian Popovici. Er hat sich damit gegen den Hitler-Verbündeten Ion Antonescu gestellt und damit rund 20.000 Juden vor dem wahrscheinlichen Tod gerettet. Nach Kriegsende ist Traian Popovici von Yad Vashem in Jerusalem als Gerechter unter den Völkern geehrt worden.
Isac Iacob Grünberg war im Rathaus als stellvertretender Büroleiter für die Wasserwerke von Czernowitz zuständig und erhielt dadurch die begehrte Unabkömmlichkeitsbescheinigung. Nur so konnte die Familie die Kriegsjahre in der Stadt – mehr schlecht als recht und in ständiger Angst – überleben. Vor dem Krieg gehörte Isac Iacob Grünberg zur Bildungselite von Czernowitz und war u. a. Mitglied der Jüdisch national-akademischen Verbindung J.N.A.V. Zephirah.
Die J.N.A.V. Zephirah wurde 1897, dem Jahr des ersten Zionistenkongresses, gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg gab sie sich ein Programm mit radikal-zionistischer und zugleich radikal-demokratischer Ausrichtung. Die seltenen Bilder aus dem Besitz von Isac Iacob Grünberg (Bild rechts, oberste Reihe, 6. v. r.) stammen aus den Jahren 1920 bzw. 1938, dem Geburtsjahr von Frederic Grünberg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Frederic Grünberg zu Frederik Grinberg, aber die Schatten der Vergangenheit holen ihn auch in der Sowjetunion wieder ein. In einer Atmosphäre von wachsendem Antisemitismus in Verwaltung und öffentlichem Leben, entdeckt Frederik Grinberg bei einem Friedhofsbesuch im Jahr 1983, dass das Grab seiner Eltern auf dem Jüdischen Friedhof von Czernowitz von Unbekannten geschändet worden ist. Noch auf dem Friedhof erleidet er seinen ersten Schlaganfall, dem nach einigen Jahren ein zweiter folgt. Er erholt sich davon und wandert 1994, zusammen mit seiner Ehefrau, Frau Liubov Medzhybovskaja-Grinberg, nach Deutschland aus. In Mülheim an der Ruhr findet das Ärzte-Ehepaar ein Zuhause und beide engagieren sich ehrenamtlich in der Jüdischen Gemeinde Duisburg, Mülheim/Ruhr, Oberhausen. Der Arbeitskreis Migration-Geschichte, ein Projekt der Mülheimer Heinrich-Thöne-Volkshochschule, veröffentlichte unter dem Titel "Mein Leben im Ghetto und auf dem okkupierten Territorium" einen beeindruckenden Artikel über das leidvolle Schicksal dieses Holocaust-Überlebenden.
Leider haben sich mittlerweile Spätfolgen der erlittenen Schlaganfälle eingestellt und Frederik Grinberg, der in diesem Monat seinen 72. Geburtstag feiert, ist seit ca. zwei Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen.
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