01 February 2008

Widerschein des Feuers

Meine Wertung


Etikettenschwindel

In der renommierten Wochenzeitung "Die Zeit" konnte man 1979 in einer Kritik von Rolf Michaelis über das Buch von Jurij Trifonow lesen:

"Knapp, oft mit ironischer Schärfe gegenüber Stalin, Trotzki und allen 'offiziellen Helden' erzählt Jurij die Lebensgeschichte, seines Vaters Valentin Andrejewitsch Trifonow im 'Bericht'. Aus dem Wechsel von Erzählung, Kommentar, eingeschobenen Originaldokumenten, Briefzitaten von Zeitgenossen und Unterlagen aus Archiven entsteht ein eigener Rhythmus. Das Buch wird, über seinen Rang als Dokumentar-Sammlung (mit vielen neuen Funden) hinaus, zu einem spannend zu lesenden Abenteuerbuch aus der Revolutionszeit. Unnachsichtig geht Trifonow mit dem ins Gericht, der ihm, als er gerade elf Jahre alt war, den Vater gemordet hat — mit Stalin."

Das klingt alles vielversprechend und interessant, nur, genau das ist in dem "Bericht" eben nicht enthalten. Tatsächlich geht es um das Leben und Wirken von Valentin Trifonow im Russland der Jahre 1905 - 1937, einem Zeitraum in dem drei Revolutionen, ein Weltkrieg, ein Bürgerkrieg und viele Jahre Stalinistischen Terrors fielen. So "unnachsichtig" geht Jurij Trifonow mit dem Stalinismus um, dass er von den 236 Seiten des Buches ganze 3 (= 1 %) dem Zeitraum zwischen 1921 und 1937 widmet; 1921 ging der Bürgerkrieg zu Ende, 1937 wurde Valentin Trifonow ermordet. Aber "Mord" gehört nicht zu dem Vokabular von Jurij Trifonow, zumindest nicht dann, wenn er von den bolschewistischen Genossen verübt wird, nicht einmal dann, wenn es den eigenen Vater trifft. Das ist dann doch auch für den ansonsten linientreuen Luchterhand-Verlag zu viel, denn in einer Fußnote heißt es:

"Trifonow verwendet hier u. ö. die in der Sowjetunion übliche lakonische Formel on pogib, wörtlich etwa: "er kam um", mit der allgemein der gewaltsame Tod von Opfern des Stalinschen Terrors umschrieben wird. (Anm. d. Red.)"

Was erfahren wir aber in den übrigen 99 % dieses "Berichtes"? Wir lesen über die Kommunistenverfolgung im vorrevolutionären Russland, nehmen hautnah an (drei) Revolutionen und einem Weltkrieg teil, betreten zahlreiche Bürgerkriegsschauplätze und lernen eine unüberschaubare Zahl an Kommunisten und Konterrevolutionären kennen. Was wir jedoch nicht wahrnehmen, ist der Hauch eines Zweifels an dem Sinn der bolschewistischen Revolution, mindestens jedoch an den von ihr praktizierten Methoden. Vielmehr lesen wir:

"Jeder Schuljunge weiß, daß die bürgerliche Revolution in die proletarische übergehen muß. Damals aber, im April 1917, als diese geschichtlichen Prozesse erst im Werden begriffen waren, schockierte Lenins Prophetie - ja, nicht Prophetie, sondern sein mit fester Hand gemaltes Bild dessen, was geschehen mußte und geschehen würde - nicht nur die Feinde, sondern auch die Freunde der Revolution."

Immerhin gut, dass heute, 90 Jahre nach Lenins "Aprilthesen", jeder Schuljunge weiß, oder zumindest wissen sollte, welche Folgen, positive wie negative, die "proletarische Revolution" hatte. Glück für ihn, dass ihm diese Variante der Revolution erspart blieb!

1 comment:

Anonymous said...

Hi!

Ich habs auch durch. Mit dem Etikettenschwindel stimmt. Beruhigend, daß auch schon damals 1979 die Oberflächlichkeit grassierte.

Gegen Ende des Trifonowberichts steht übrigens, daß nur die Zeit bis zum Ende des Bürgerkriegs dargestellt wird.
Der Vater spielt wohl mehr als roter Faden eine Rolle, dargestellt werden viele Personen aus seinem Umfeld, was leicht verwirrend ist. So hat der Vater auch noch einen Bruder und die beiden haben ihre Vornamen getauscht, arbeiten in ähnlichen Branchen usw.
Weil das Buch in den 60ern geschrieben wurde fehlt es auch nicht an Hinweisen bis in die 60er hinein, eben was aus den Leuten geworden ist.
Daß die "Kritik" an Stalin etwas zahm ausschaut, liegt wohl auch daran, daß viele Zeitgenossen Jurij Trifonows noch gewisse Schwierigkeiten hatten und die Rehabilitierung ehemals Verfolgter und "Umgekommener" noch im vollen Gange war. So kritisiert Trifonow u.a. seine Zeitgenossen, Professoren, die noch in den 60ern darüber fachsimpeln ob jemand aus den 20ern ein "Volksfeind" oder ein "Volksheld" war. Daß "Volksfeinde" umkamen war auch Trifonow klar, wenn auch mehr aus Zwangslagen und Zeitmangel heraus und weniger aus "Prinzip". So ähnlich sah es wohl auch der Vater, Valentin Trifonow, der als Militär allemöglichen Prinzipien über board warf und z.B. die kommunistisch-anarchistischen Freiwilligenbattailone, die der jungen Sowjetrepublik treu ergeben waren, als größte Gefahr für die "praktische" Revolution (an den Fronten des Bürgerkrieges) brandmarkte. Den kommunistisch-anarchistischen Idealvorstellungen, stellte er das grobe Gegenteil, eiserne militärische Disziplin, Gehorsam usw, gegenüber. Valentin Trifonow (der Vater) ging auch gegen "Feindprinzipien" vor und warnte davor, sich aus "Prinzipien" (Ideologien, usw) heraus nicht unnötig zusätzliche Feinde zu schaffen, zb unter den "Kosaken" (sowas ähnliches wie die ehmalige Elitetruppe des Zaren, mit Jahrhunderten Tradition). "Wie wir alle wissen", so in etwa in einem Dokument von Valentin Trifonow, "bestimmt das Sein das Bewußtsein". Und daraus leitet er ab, daß man zwischen Massen von ärmeren Kosaken und wenigen reicheren meist zaristischen Kosaken unterscheiden müsse. Eine Erkenntnis, die einerseits aus einem mittelprächtigen prozaristischen Kosakenaufstand gewonnen wurde andererseits Mißverständnisse und Feindschaft in den eigenen Reihen hervorrief.

Übrigens erwähnt der Sohn auch ein Buch, ein militärisches, daß der Vater bis kurz vor seiner Ermordung 1937 geschrieben haben soll. Darin soll er seine Zeitgenossen in den 30ern gegen die grassierende Sorglosigkeit ("Stalin kümmert sich um alles") eindringlich vor dem sich anbahnenden westlichen Faschismus gewarnt haben. Eventuell ein (heute) interessantes Buch?

Grob oberflächlich und mit einiger Mißgunst beladen betrachtet, war Valentin Trifonow eine widersprüchliche Person. Und ähnlich widersprüchlich werden weitere Personen aus seinem Umfeld beschrieben. U.a. zb ehemals zaristische Militärs, die in der roten Armee wirkten, allesamt aber meist anhand von Dokumenten als "Volkshelden", die später als Volksfeinde umkamen und die nach Stalins Tod zum Teil rehabilitiert wurden.

"Widerschein des Feuers" ist schon eine Kritik am Stalinismus, aber mehr aus einer bestimmten Richtung, aus der Sicht eines alten Bolschewisten etwa...

Klaus B aus B